03.04.: ZAHNARTZPRAXIS IM FOKUS: Rechtliche Einschätzung zur Patientenbehandlung während der SARS-CoV2-Pandemie durch Herrn Dr. Hendrik Zeiß – Fachanwalt für Medizinrecht.
Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die zahnärztliche Praxis
1.) Aktuell kursieren zum Teil widersprüchliche Informationen darüber, welche Behandlungen in zahnärztlichen Praxen noch durchgeführt werden können/dürfen. Nachstehend soll für etwas Klarheit gesorgt werden. Die folgenden Informationen geben den aktuellen Stand (03.04.2020) wieder. Es existieren derzeit keine behördlichen Anordnungen zur generellen Schließung von zahnärztlichen Praxen oder zu einem generellen Verbot der Behandlung von Patienten. Die kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer weisen in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 31. März 2020 ausdrücklich darauf hin, dass angeordnete Praxisschließungen derzeit nicht zur Diskussion stehen. Vielmehr ist jeder Vertragszahnarzt gem. § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V durch seine Zulassung zur Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung im Umfang seines aus der Zulassung folgenden Versorgungsauftrages berechtigt und verpflichtet. § 8 Abs. 6 BMV-Z regelt, dass der Vertragszahnarzt die Behandlung eines Versicherten nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen darf.
Ausnahmen von dem Grundsatz, die vertragszahnärztliche Praxis aufrechtzuerhalten, können sich nur durch behördlich angeordnete (einzelfallbezogene) Praxisschließungen oder in Ausnahmefällen in Abstimmung mit der zuständigen kassenzahnärztlichen Vereinigung ergeben.
2.) Um einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten und die zahnärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten, gilt es, einzelfallbezogene Praxisschließungen durch behördliche Anordnungen zu vermeiden. Hierzu wiederum müssen Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so gut wie möglich vor unnötigen Infektionsrisiken geschützt werden. Deshalb weisen KZBV und BZÄK in ihrer gemeinsamen Stellungnahme vom 31. März 2020 darauf hin, dass nach Abklärung und Ausschluss von besonderen Infektionsrisiken seitens des Patienten gemeinsam mit dem Patienten zu entscheiden ist, ob eine geplante Behandlung unter den derzeitigen Gegebenheiten wirklich erforderlich ist oder zunächst aufgeschoben werden kann.
Die kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein und die Zahnärztekammer Nordrhein weisen in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 29. März 2020 darauf hin, dass auf Ersuchen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW nur dringend erforderliche Behandlungen durchzuführen sind. Wann eine Behandlung in diesem Sinne dringend erforderlich ist, ist in Abstimmung zwischen dem Patienten und dem Zahnarzt unter Berücksichtigung möglicher Infektionsrisiken einzelfallbezogen festzustellen.
Derzeit ergibt sich aus keiner seriösen Quelle der Hinweis, dass ausschließlich Notfallbehandlungen durchzuführen sind. Vielmehr können auch geplante Behandlungen durchgeführt werden. Die Zahnärztekammer Nordrhein empfiehlt, bei allen Patienten antiseptische Mundspülungen mit den im DAHZ-Leitfaden aufgeführten Mitteln einzusetzen. Ultraschall-Zahnsteinentfernungen und Airflow sollten vermieden und stattdessen, falls nötig, manuelle Scaler und Küretten verwendet werden.
3.) In die Abwägung einzustellen sind neben der Risikolage auf Seiten des Patienten auch die möglichen Schutzmaßnahmen innerhalb der Praxis für das Personal und den Behandler.
In diesem Zusammenhang erlangt der aktuelle Mangel an Schutzausrüstung nicht unerhebliche Bedeutung. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege weist auf ihrer Internetseite (25.03.2020) darauf hin, dass dann, wenn auf Grund eines Notfalls ein erkrankter Patient ohne hinreichende persönliche Schutzausrüstung behandelt werden muss und sich dadurch eine versicherte Person infiziert, seitens der Berufsgenossenschaft von einer Regressprüfung und Regressnahme Abstand genommen wird.
Auch hieraus wird deutlich, dass Notfallpatienten mit COVID-19-Anamnese oder Verdachtsfälle mit deutlichen Symptomen nicht ohne Weiteres unbehandelt bleiben dürfen. Vielmehr muss in diesen Fällen versucht werden, die Notfallbehandlung unter Hinzuziehung vorhandener Schutzausrüstung im unbedingt notwendigen Umfang durchzuführen. Sollte dies nicht möglich sein, muss gemeinsam mit dem Patienten versucht werden, eine anderweitige Behandlungsmöglichkeit gefunden zu werden.
Die jeweiligen kassenzahnärztlichen Vereinigungen versuchen in Abstimmung mit den zuständigen Ministerien, Behandlungszentren an Universitäts-Zahnkliniken, Kliniken mit einer Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie-Abteilung und Kliniken mit einem zahnmedizinischen Fachbereich zu organisieren, die zentral die Behandlung von Notfällen bei COVID-19-Patienten oder Verdachtsfällen übernehmen.
4.) Abgesehen von den für alle Unternehmen geltenden Hilfen (Erweiterung der Möglichkeit zur Beantragung von Kurzarbeitergeld, verlorene Zuschüsse, vergünstige Kredite) existiert derzeit kein speziell auf zahnärztliche Praxen bezogener Rettungsschirm. Dies beanstandete die Bundeszahnärztekammer zuletzt in einer Pressemitteilung vom 2. April 2020, in der darauf hingewiesen wurde, dass das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz Zahnärzte unverständlicher Weise nicht unterstützt. Die Bundeszahnärztekammer fordert insoweit den Gesetzgeber dringend auf, umgehend zu handeln.
5.) Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass eine anlasslose Schließung der zahnärztlichen Praxis jedenfalls bei bestehender vertragszahnärztlicher Zulassung aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Nimmt man den Appell des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, die Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung aufrecht zu erhalten, ernst, so kann dies nicht nur bedeuten, Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor unnötigen Infektionsrisiken zu schützen, sondern auch durch die Durchführung von Behandlungen, die notwendige wirtschaftliche Grundlage für das Fortbestehen der zahnärztlichen Praxis sicherzustellen.
Demnach ist der Einschätzung der KZBV und BZÄK zu folgen, wonach Zahnarzt und Patient unter Berücksichtigung der Risikolage gemeinsam entscheiden müssen, ob Behandlungen durchgeführt werden oder nicht. Zeigt der Patient keine Krankheitssymptome, gehört er keiner besonderen Risikogruppe an, ist er nicht aus einem Risikogebiet eingereist und verfügt der Zahnarzt über ausreichende persönliche Schutzausrüstung für sich und sein Personal, so können auch geplante Behandlungen, insbesondere chirurgische Eingriffe, bei denen keine oder nur geringe Aerosole entstehen, durchgeführt werden.
Dies ist unsere Auffassung unter Bewertung aller derzeit verfügbaren seriösen Informationen. Wir können nicht ausschließen, dass diese Einschätzung in der derzeitigen Situation kurzfristig zu überdenken ist.
Autor:

Rechtsanwalt Dr. Hendrik Zeiß
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Stand: 03.04.2020